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80 Prozent? Das reicht doch!

 

September 2024 / 000 Wörter/ Bild © Unsplash Nikola Tasic

80 Prozent des Möglichen müssen genügen. Das Streben nach 100 Prozent ist doch nur ein perfektionistisches Übel. Aber hilft uns das auch wirklich weiter? Die Antwort finden Sie hier.

Neulich meldete sich der Akku meines Computers und forderte einen Service an. Mein Händler gab mir Entwarnung und riet mir, den Akku nur zu 80 Prozent aufzuladen. Das würde die Lebensdauer erheblich verlängern. Jetzt habe ich so einen Ladebegrenzer. Ich lese auch immer wieder, dass Elektroautos an Ladesäulen relativ schnell auf 80 Prozent geladen sind. Aber was ist mit den restlichen 20 Prozent? Experten sagen, dass es sehr viel mehr Energie braucht, um die vollen 100 Prozent zu erreichen.  

Ich stelle mir das wie bei der morgendlichen U-Bahn-Fahrt vor, wo die Fahrgäste den Waggon relativ schnell zu 80 Prozent gefüllt haben. Will man den Waggon aber zu 100 Prozent füllen, braucht es enorme Kräfte von außen, und da kommen mir die Bilder der Subway Pusher mit den weißen Handschuhen in der Tokioter U-Bahn in den Sinn.

Die Frage ist also: Reichen 80 Prozent aus, um voranzukommen, um unseren Ansprüchen gerecht zu werden?

Ja, werden Sie sagen, das kenne ich. Dann haben Sie schon einmal vom Pareto-Prinzip gehört. Das Pareto-Prinzip, auch 80/20-Regel genannt, besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse oft mit nur 20 Prozent des Gesamtaufwandes (= 100 Prozent) erzielt werden können. Diese Regel wird in vielen Bereichen angewandt, um Prioritäten zu setzen und effizienter zu arbeiten. Das Internet ist voll von Beispielen und Anleitungen zu diesem Prinzip und geizt auch nicht mit, sagen wir mal, interessanten Beispielen: 80 Prozent der Verbrechen sollen von 20 Prozent der Kriminellen begangen werden. Das klingt lässig und nach wenig Aufwand. Ich würde mir wünschen, dass man versucht, auch die anderen 80 Prozent der Kriminellen zu fassen. Das Pareto-Prinzip soll zwar nur eine grobe Richtschnur sein, aber es sagt uns gleichzeitig, dass wir für die restlichen 20 Prozent die noch übrigen 80 Prozent des Gesamtaufwands benötigen. Das ist viel. Lohnt sich das und ist das überhaupt gewollt? Wer braucht schon 100 Prozent, wenn 80 Prozent es auch tun.

Der Berliner Tagesspiegel titelt: Freelancen für Fortgeschrittene: 80 Prozent sind wirklich gut genug! Früher hat unsere Autorin viel zu viele Stunden am Schreibtisch verbracht. Heute schafft sie mehr in kürzerer Zeit". Rein rechnerisch hat sie früher mit 100 Prozent Aufwand ein 100-prozentiges Ergebnis erzielt. Heute kommt sie mit 80 Prozent Ergebnis in die Redaktion, dafür aber häufiger. Diese Tendenz ist vielerorts zu beobachten. Das Gefühl, etwas Unfertiges in den Händen zu halten, ist nicht neu. Wir sollen uns mit 80 Prozent zufriedengeben. Zufrieden?

Wer oder was entscheidet, welche 20 Prozent auf der Strecke bleiben, wer auf die nächste U-Bahn warten muss und deshalb zu spät kommt? Was ist, wenn sich später herausstellt, dass diese fehlenden 20 Prozent entscheidend sind? Ich möchte keine Texte lesen, die nur zu 80 Prozent recherchiert sind. Sicher, mit 20 Prozent meiner Kunden kann ich 80 Prozent meines Geschäfts machen, aber auf das Geld der anderen 20 Prozent möchte ich nicht verzichten. Ich bin davon überzeugt, dass in den übrigen 80 Prozent meiner Kunden noch unentdeckte Potenziale schlummern! Ich sollte wirklich versuchen, mit allen 100 Prozent meiner Kunden Geschäfte zu machen und wenn möglich zusätzlich neue Kunden zu gewinnen.

Microsoft

Eine Antwort auf die Frage, ob uns 80 Prozent reichen, finden wir in der Arbeitsweise von Microsoft. 

Von Kreativen werden oft mehr als 100 Prozent verlangt, manchmal sogar 120 Prozent. Sie sollen die Extrameile gehen, zeigen, was möglich ist, auch wenn es weit über das Ziel hinausschießt. Natürlich wollen sie von der Leine gelassen werden. Ist es nicht genau das, was uns alle antreibt? Besser zu werden, innovativ zu sein, uns selbst zu übertreffen? Blieben wir bei 80 Prozent, stünden wir weit hinter unseren Erwartungen zurück. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat eine neue Rubrik: Zeig mir deinen Kalender. Damit soll der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, wie effizient so mancher Manager mit seiner ach so kostbaren Zeit umgeht. Er wird zum Verwalter seiner selbst und kann doch nur das tun, was ihm vorgegeben wird. Damit es planbar bleibt.

80 Prozent sind effizient plan- und durchführbar und finden relativ schnell einen gemeinsamen Konsens. Sind 100 Prozent dagegen ein Fass ohne Boden, weil die Erwartungen zu unterschiedlich sind? Mit anderen Worten: Können wir uns auf 80 Prozent einigen, aber nicht auf 100?

Ulf Schubert klärt uns in seinem Blog www.user-experience-blog.de über das Missverständnis des Pareto-Prinzips auf und bringt den schönen Satz: „Wer braucht schon goldene Wasserhähne“. Auch ich habe in meiner aktiven Zeit immer wieder den Satz gehört: „Das reicht, wir wollen das Rad nicht neu erfinden“. Das Maximum zu wollen, wird oft abwertend mit Perfektionismus gleichgesetzt. In seinem Blogbeitrag beschreibt Schubert, wie das Unvollkommene immer nur ein Provisorium und erster Schritt bis zur vollen Erfüllung von Wünschen und Erwartungen sein kann.

Gehen unsere Erwartungen im Zuge von New Work, Agilität und iterativ-zyklischem Arbeiten sogar in Richtung 30 Prozent und weniger? Die Ergebnisse werden grob skizziert, damit wir ein gemeinsames Bild vor Augen haben. Dann gibt es ein neues Briefing. Und die Hoffnung, nach einer überschaubaren Anzahl von Zyklen ein Gesamtergebnis zu haben.

Apropos Zyklen und damit zurück zum Akku: Der Akku meines schon iPhones ist schon älter und fasst nur noch 80 Prozent. Gleichzeitig zeigt das Display „100 Prozent geladen“ an. Ich finde, wir alle haben uns zum Feierabend eine volle Maß Bier verdient und nicht nur eine zu 80 Prozent gefüllte zum vollen Preis. //rb

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